Zwischen Leben und Tod - Aus dem Alltag der Intensivstation

Die Intensivmedizin wird manchmal als seelenlose Apparatemedizin verunglimpft. Völlig zu Unrecht. Fürsorglich und liebevoll kümmern sich Ärzte und Schwestern um die teils schwer kranken Menschen. Und sie tun es mit sehr viel Herzblut.

Tanja Schillers Arbeitstag beginnt um 6 Uhr, wenn sie Frühdienst hat. Nicht immer so dramatisch wie neulich, aber häufig. Ein 81-jähriger Patient war vom Rettungswagen mit Kammerflimmern auf die Intensivstation gebracht worden. Er musste reanimiert und beatmet werden, die Ärzte hatten ihn ins künstliche Koma versetzt. Auf den Gängen der Stationen 1.1 und 1.2 im neuen Intensivzentrum ist es um diese Zeit noch ruhig. Hektik kommt erst auf, wenn es um Leben und Tod geht. Wie im Fall des 81-Jährigen. Dann hallen die Schritte der Ärzte und Pflegemitarbeiter sehr schnell über die Flure. Als Schiller die Übergabe mit den Kollegen des Nachtdienstes macht, hat der Patient den Kampf gegen den Tod vorerst gewonnen. »Akute Notfallsituationen erleben wir hier häufig«, sagt die junge Krankenschwester, die sich bewusst für die Intensivstation entschieden hat. Dann seien Flexibilität und schnelles Handeln erforderlich. Schiller macht sich auf den Weg, den bewusstlosen, aber stabilen Patienten aus dem Herzkatether-Labor abzuholen, wo mittels Bildgebung dargestellt wird, ob Verengungen oder Verschlüsse der Herzkranzgefäße vorliegen und eine Intervention erforderlich ist. Und schon steht die nächste Untersuchung im Computertomographen an, »damit wir ausschließen können, dass der Patient eine Hirnblutung hat«, erklärt Schiller. Als das feststeht, erneuert sie die Verbände, kontrolliert den Tubus – der Patient wird invasiv beatmet –, erneuert die Medikamente, optimiert die Beatmung. Routiniert, gewissehaft, fürsorglich. Für Schiller, die seit November am UKA ist, ist der Beruf ihr Traumberuf.

AKUTE NOTFALLSITUATIONEN ERLEBEN WIR HIER HÄUFIG.
Tanja Schiller

Dann heißt es, kurz warten auf den Arzt. Ihr Patient soll einen zentralen Venenkatheter gelegt bekommen. Er wird in der nächsten Zeit viele Medikamente benötigen. Um die Zahl der Einstichstellen zu minimieren, ist der Halskatether notwendig. »Damit stellen wir sicher, dass keine Keime in die Wunde gelangen«, sagt Schiller. Dr. Petro Bannout wird den Eingriff ausführen. Zehn Minuten später steht der junge Arzt in der Tür. Schiller und eine Kollegin helfen ihm dabei, den sterilen Kittel überzuziehen und bereiten die Ablagefläche vor, auf der die sterilen Instrumente und Katheter abgelegt werden. Ab sofort heißt es: Kein Zutritt für andere Personen im Umkreis des Patienten. In dem Moment, in dem Bannout beginnen will, klingelt das Telefon. Ein weiterer Notfall. Bannout eilt aus dem Zimmer. Die Krankenschwester wirft einen letzten Blick auf ihren Patienten, überprüft seine Werte und Vitalparameter, die im Übrigen auch am Stationsstützpunkt überwacht werden. Doppelte Sicherheit. Dann folgt sie Dr. Bannout und unterstützt die Kollegen bei der Versorgung des Notfalls.

Die Daten des Patienten werden exakt und regelmäßig überwacht und kontrolliert.

Der Patient ist wieder ein Mann, wieder über 80 Jahre alt. Er hat eine massive Magenblutung. Der Blutdruck fällt ab, er beträgt zeitweise 50 zu 30. Seine Laktatwerte sind astronomisch, das heißt, der Milchsäureanteil in seinem Blut ist lebensbedrohlich hoch. Zwei weitere Ärzte und Dr. Bannout kämpfen um das Leben des 83-Jährigen. Er bekommt Herzdruckmassage, Medikamente, vor allem Adrenalin, es ist die höchste erlaubte Dosis, er wird intubiert und beatmet. Aufgrund des hohen Säuregehaltes im Blut müsste er eigentlich dialysiert werden, »aber das übersteht er in dem Zustand gar nicht. Bei diesem Patienten«, wird Bannout später sagen, »standen wir mit dem Rücken zur Wand.« Der 83-Jährige stirbt wenige Stunden später trotz aller Bemühungen um ihn an einem sogenannten hämorrhagischen Schock.

Zwei Stunden später stehen Schiller und Bannout wieder bei dem 81-Jährigen am Bett und legen ihm den zentralen Venenkatether. Tage wie dieser sind Alltag auf der Intensivstation, die mit insgesamt 120 Mitarbeitern die Größte am Universitätsklinikum Augsburg ist. Bei voller Belegung werden 31 Intensivpatienten versorgt. Angeschlossen an die I. und III. Medizinische Klinik sind es vorwiegend kardiologische und gastroenterologische Fälle. Aber auch Patienten mit anderen Erkrankungen werden hier behandelt. Die Betreuung schwerstkranker Patienten sowie das Erkennen und Beherrschen akuter Notfallsituationen sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Die Versorgung von Notfallpatienten und Reanimationen aufgrund von Infarkten oder Embolien unterbrechen immer wieder die routinierten Abläufe. »Viele Patienten sind 65 plus und mehrfach vorerkrankt«, sagt Bereichsleitung Rosa Fischer.

Viele, nicht alle. Melissa Jack ist 27 Jahre alt und im sechsten Monat schwanger. Auch sie wurde notfallmäßig auf der Intensivstation eingeliefert. Trotz ihres jungen Alters erlitt sie bereits zwei Herzinfarkte. Schuld ist ein Koronarspasmus, eine Herzkranzgefäßverkrampfung, vermutlich ausgelöst durch die Schwangerschaftshormone. Nun muss sie bis zum vorgezogenen Kaiserschnitt auf der Intensivstation liegen, umgeben von Überwachungstechnik: Narkosegerät, Beatmungsgerät, Überwachungsmonitor, Frühchenbett mit Wärmelampe. Ein dritter Infarkt wäre eine Katastrophe für sie und das Baby. Dass Intensivmedizin oft als Apparatemedizin gebrandmarkt wird, hat sie schon gehört, am uka aber nie so empfunden. »Hier sind alle sehr, sehr nett und empathisch und kümmern sich wirklich liebevoll um die Patienten«, sagt Jack. Eine Schwester kommt ins Zimmer und begrüßt die werdende Mama. »Hi Melissa, wie geht’s dir heute?« Man duzt sich, beide Frauen sind etwa gleich alt.

Dann macht die Kollegin den Zimmercheck, kontrolliert die Intubationsschütte, überprüft die Notfallschublade, schaut sich die Werte des Monitors am Bettenplatz an wie Blutwerte, Herz- und Sauerstoffsättigung. Sie wäscht ihre Patientin, wechselt die Verbände. Nach einem nochmaligen kurzen Plausch eilt sie weiter, schließlich hat sie noch andere Patienten.

HIER SIND ALLE SEHR, SEHR NETT UND EMPATHISCH UND KÜMMERN SICH WIRKLICH LIEBEVOLL UM DIE PATIENTEN.
Melissa Jack

Eine der wichtigsten Aufgaben ist der Wechsel von invasiven Zugängen. Viele, eigentlich alle Intensivpatienten erhalten eine Reihe von Medikamenten, meistens über sogenannte Perfusoren, Spritzenpumpen, die Medikamente in der entsprechenden Dosierung kontinuierlich verabreichen. Sind die Entzündungswerte im Blut eines Patienten zu hoch, deutet dies auf eine Infektion hin. Auch bei Melissa Jack war das schon der Fall. Deshalb müssen invasive Zugänge gewechselt werden. Und deshalb bekommen manche Patienten wie der 81-jährige Mann mit dem Kammerflimmern einen zentralen Venenkatether, um die Zahl der Einstichstellen zu reduzieren, wenn jemand sehr viele Medikamente bekommt. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Pflege der invasiv beatmeten Patienten. Das sind die Menschen, die einen Tubus in den Hals eingeführt bekommen, was nicht bei Bewusstsein gemacht werden kann. Deshalb werden solche Patienten, die sehr schwere Verletzungen oder gravierende Erkrankungen haben, ins künstliche Koma versetzt. Der Tubus muss alle 24 Stunden von dem einen in den anderen Mundwinkel umfixiert werden, damit keine Wundstellen entstehen.

Hightech am Krankenbett

Was viele Pflegende abschreckt, fasziniert die Kollegen hier: die Technik. Und auch dies ist vielleicht eine Besonderheit auf einer Intensivstation: Hier begegnen sich Ärzte und Schwestern oder Pfleger auf Augenhöhe, denn auch die Pflegemitarbeiter brauchen hier ein hohes Maß an Bedienkompetenz an allen Geräten.

Auch für Rosa Fischer, die die Station seit drei Jahren leitet, macht diese Tatsache einen Großteil der Faszination Intensivpflege aus:

JA, WIR MÜSSEN DIE GERÄTE AUS DEM EFF EFF BEHERRSCHEN. DABEI VERGESSEN WIR NIE, DASS MENSCHEN AN SIE ANGESCHLOSSEN SIND, MENSCHEN, DIE UM IHRE GESUNDHEIT, VIELLEICHT IHR LEBEN KÄMPFEN.
Rosa Fischer

sagt die 53-Jährige. Professionalität, ein hohes Maß an Menschlichkeit und Empathie seien unabdingbare Voraussetzungen für die Arbeit hier. Die Station, die auch räumlich auf Notfallsituationen eingerichtet ist – auf der einen Seite befinden sich die Funktionsräume, auf der anderen die Patientenzimmer – arbeitet interdisziplinär mit diversen Fachrichtungen und Abteilungen zusammen. »Notaufnahme, Endoskopie, das Herzkatether-Labor, die Anästhesie«, zählt Fischer auf, um nur die wichtigsten zu nennen. »Das ist auch das Reizvolle daran. Selbst, wenn man bereits eine gewisse Arbeitsroutine entwickelt hat, man lernt ständig hinzu.« Nicht zuletzt gebe es besonders für junge Menschen Angebote der Weiterbildung und -entwicklung. Wie die Weiterbildung zum Wundexperten, die Fachweiterbildung Anästhesie/Intensiv, das duale Studium Pflegewissenschaft, um nur einige der Möglichkeiten zu nennen. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-System von 6 bis 14 Uhr,13.30 bis 21.45 Uhr und 21.15 bis 6.30 Uhr. »Wir bieten flexible Arbeitszeitmodelle an. Möglich sind Arbeitszeiten von zehn Stunden bis hin zu 38,5-Stunden pro Woche. So können wir auch Müttern oder Studierenden den für sie idealen Umfang an Arbeitsstunden anbieten«, erklärt Fischer.

Für heute ist Tanja Schillers Frühschicht beendet. Bei der Übergabe an ihre Kollegin in der Tagschicht muss sie vom Tod eines Patienten berichten. »Das ist traurig, aber der Tod ist ein Teil des Lebens.«

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 3/2020 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 3/2020.