Liquid Biopsy - Mit ein paar Tropfen Blut Krebs erkennen und Krebsbehandlung steuern

Mehr als 300 Krebsarten sind inzwischen bekannt, aber nur die wenigsten sind von außen zu erkennen. Die meisten Tumore bleiben daher oft lange unbemerkt, bis sie Beschwerden verursachen. Jedes Jahr erkranken rund 500 000 Menschen an Krebs.

Im Rahmen der Krebsvorsorge können die Tumore oft rechtzeitig erkannt und vor bzw. während der Therapiemaßnahmen mit Biopsien beobachtet werden. Und obwohl dank der Forschung die Krebssterblichkeit seit Jahren zurückgeht, werden nur rund die Hälfte aller Patienten dauerhaft vom Krebs geheilt. Grund genug, um weiter unermüdlich an neuen Analyse-, Diagnose- und Therapiemög- lichkeiten zu forschen. Am Interdisziplinären Cancer Center Augsburg (ICCA) des Universitätsklinikums Augsburg arbeiten Fachdisziplinen aus 29 Kliniken und Instituten zusammen, um die Krebsforschung und die regionale Vernetzung in der Onkologie zu bündeln. So können die Krebspatienten aus der Region bestmöglich versorgt und therapiert werden.

Biopsie: Entnahme einer Gewebeprobe bei Tumorerkrankungen

Die Krebsforschung macht große Fortschritte, daran ist nicht zuletzt das Interdisziplinäre Cancer Center Augsburg beteiligt. Eine besondere Herausforderung in der Krebsforschung ist das molekulare Profil von Tumoren. Viele Krebsarten verändern sich während einer Therapie. Der Tumor kann kleiner oder größer werden, je nachdem, ob er auf die aktuelle Therapie anschlägt oder nicht. Er kann auf andere Organe überspringen und Metastasen bilden. Um die Therapie dauerhaft optimal für den Patienten zu gestalten, ist es sinnvoll, die Behandlung den Mutationen (lat. mutare »verändern, verwandeln«) des Tumors ständig anzupassen. Dafür wird bei dem Patienten eine Biopsie durchgeführt, die Entnahme einer Gewebeprobe, mit anschließender feingeweblicher und molekularer Untersuchung der aufgearbeiteten Tumorzellen-DNA. Dieser Eingriff ist teilweise aufwändig und für den Patienten manchmal auch psychisch und körperlich belastend, da bereits die kleinen Eingriffe in dem geschwächten Körper oft lange nachklingen. Auch werden oft mehrere Biopsien benötigt, um ein vollständiges Bild des Tumors bei Diagnose und im Verlauf zu erhalten. Hier hat die Krebsforschung angesetzt und nach einer besseren Möglichkeit gesucht, um Tumore zu beobachten. Inzwischen gibt es eine vielversprechende Alternative zur klassischen Biopsie.

 

Mit neuen Technologien ist Flüssigbiopsie »Liquid Biopsy« möglich

Dank modernster Technologien und neuer Verfahren ist es inzwischen möglich, Bestandteile von Tumorzellen im Blut nachzuweisen. Denn Tumorzellen geben ihre Erbinformationen unter anderem auch an das Blut ab, welche dann auf Genveränderungen hin untersucht werden können. »Liquid Biopsy« nennt sich diese neue Art der Biopsie. Im Gegensatz zur Gewebediagnostik wird bei der Liquid Biopsy Blut abstatt Gewebe entnommen. Das hat für Mediziner und Patienten zahlreiche Vorteile. Denn die Gewebediagnostik basiert darauf, Gewebe des Patienten zu entnehmen und zu untersuchen, das kann in vielen Fällen sehr schwierig sein. Beispielsweise wenn der Tumor nur schwer erreichbar ist wie beispielsweise ein Gehirntumor, es ein sehr großer und schwerer Eingriff ist oder der eigentliche Tumor gar nicht auffindbar ist. Nicht so bei der Flüssigbiopsie. Hier genügen wenige Milliliter Blut – ein deutlicher Vorteil zur Gewebeprobe.

 

Liquid Biopsy ermöglicht Monitoring der gesamten Krebserkrankung

Eine Blutentnahme ist nicht aufwendig und für den Patienten nur eine geringe Belastung, da es sich lediglich um einen kurzen Einstich handelt. Die Liquid Biopsy kann dadurch häufiger als eine Biopsie wiederholt werden und immer den aktuellen Stand der Krebserkrankung aufzeigen und die Behandlung daran anpassen. Und es gibt noch einen weiteren großen Vorteil gegenüber der klassischen Biopsie: Bei der Gewebediagnostik kann immer nur eine Tumorlokalisation untersucht werden. Gibt es mehrere Tumormanifestationen (Metastasen) im Körper, sind manchmal auch mehrere Biopsien notwendig, um ein vollständiges (molekulares) Bild des Tumors zu erhalten. Bei der Flüssigbiopsie erhält man hingegen einen Querschnitt über alle vorhandenen Tumormanifestationen im Körper. So können bessere Aussagen über den Tumor, seinen molekularen Aufbau und dessen Therapiemöglichkeiten getroffen werden. Im Blut eines Krebspatienten können mit der Flüssigbiopsie außerdem Metastasen und Rückfälle im gesamten Körper erkannt werden. Die Liquid Biopsy liefert daher im Idealfall Informationen über die gesamte Krebserkrankung und nicht nur über den konventionell biopsierten Tumor oder Tumorteil. Dafür reichen bereits wenige Milliliter Blut des Patienten aus.

 

Schnelle Therapieanpassung bei Tumorveränderungen

Die Molekularpathologen arbeiten das Blut in mehreren Schritten auf, um die Erbinformation – die DNA – des Patienten herauslesen zu können. Ziel ist es, individuelle Therapien zu entwickeln. Das ist gar nicht so einfach, denn die genetischen Veränderungen des Tumors müssen aus mehr als drei Milliarden Bausteinen der DNA ausgelesen werden. Dieser Vorgang nennt sich Sequenzierung und dauert dank modernster Geräte nur wenige Tage. Zwar ist der Prozess der Auslesung komplex, doch die Liquid Biopsy dauert im Gegensatz zur Gewebebiopsie nur einige wenige Tage und kann beliebig oft wiederholt werden. Mit den Ergebnissen der Flüssigbiopsie können auch kurzfristige Veränderungen z. B. unter laufender Therapie nachgewiesen werden, die darauf hindeuten, dass die derzeitige Behandlung besser, schlechter oder nicht mehr gegen die Erkrankung wirkt. Eine rasche Therapieanpassung ist somit möglich.

 

Im Blut eines Krebspatienten können Tumore und Metastasen geortet werden.

Rückfälle können mit Liquid Biopsy viel früher erkannt werden

Und auch bei Patienten, die vom Krebs geheilt sind, kann die Flüssigbiopsie angewendet werden, um Rückfälle frühzeitig zu erkennen. Das ist ein unschlagbarer Vorteil, denn ein wiederkehrender Krebs kann auch in einem anderen Organ und zuerst in sehr kleiner Menge auftreten. Eine Gewebebiopsie kann erst viel später einen Rückfall aufzeigen. So ergab eine Studie bei Darmkrebspatienten, dass mit Hilfe der Liquid Biopsy der Rückfall des Tumors sechs bis neun Monate eher als mit den üblichen Methoden wie Bildgebung z. B. mittels CT erkannt wird. Für die Therapie bedeutet das viel Zeit, die auch über Leben und Tod entscheiden kann.

DIE AUSSICHTEN DIESER STUDIE SIND AKTUELL SEHR GUT.

Liquid Biopsy könnte bald zur Routineversorgung gehören

Bislang sind die Liquid Biopsy-basierten Tests bis auf wenige Ausnahmen rein experimentell und noch nicht zugelassen. Sie werden daher aktuell ausschließlich im Rahmen von klinischen Studien angewendet. Im Bayerischen Zentrum für Krebsforschung (BZKF), einem Zusammenschluss der sechs bayerischen Universitätskliniken, ist Augsburg für den Fachbereich Liquid Biopsy zuständig.
Dort läuft aktuell die NeoRect Studie, bei der die Flüssigbiopsie an Patienten mit Enddarmkrebs eingesetzt und hinsichtlich der Therapiesteuerung untersucht wird. Bevor den Darmkrebspatienten der Enddarm bzw. Teile des Enddarms operativ entfernt werden muss, wird der Tumor mit Radiochemotherapie bis zum Zeitpunkt der Operation behandelt. Während dieser Zeit wird mittels Liquid Biopsy untersucht, ob der Tumor bereits durch die Chemotherapie verschwunden ist, um möglicherweise die Operation zu umgehen. Die Aussichten dieser Studie sind aktuell sehr gut und die zuständigen Ärzte am Universitätsklinikum gehen davon aus, dass Liquid Biopsy hier zukünftig einen wesentlichen Beitrag zur Entscheidung für oder gegen eine Operation leisten könnte. Zudem wird zeitgleich ein Konzept entwickelt, wie Liquid Biopsy breit in die klinische Routineversorgung weiterer Tumorarten und Behandlungsformen integriert werden kann. Für Krebspatienten würde das weniger Belastung, individuellere und optimalere Therapiemöglichkeiten und größere Heilungschancen bedeuten

 

 

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Ihr/e Ansprechpartner/in steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Prof. Dr. med. Rainer Claus

Facharzt für Innere Medizin, Onkologie, Hämatologie

E-Mail: rainer.claus@uk-augsburg.de

>> Sekretariat: Frau Kepp

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 4/2020 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 4/2020.