Kollege Computer: Ein Assistent mit Scharfblick

Künstliche Intelligenz – weltweit neues Verfahren aus Augsburg

 

Sie ist die Idealbesetzung in jedem medizinischen Team, stets präsent, lern- und handlungsfähig: die Künstliche Intelligenz, abgekürzt KI. Das computergestützte System, das Eigenschaften und Verhaltensweisen vorweist, die man gemeinhin mit Menschen verbindet, hat auch am Universitätsklinikum Augsburg einen Meilenstein gesetzt. Im dortigen Endoskopiezentrum wurde ein weltweit neues Diagnose-Verfahren entwickelt, das Krebs in der Speiseröhre bereits in einer ganz frühen Entwicklungsphase sehr genau per Rechner erkennt. Manchmal sogar präziser als erfahrene menschliche Experten.

»KI, Ihr Einsatz bitte!« heißt es nun häufig bei der endoskopischen, also inneren Untersuchung des Magen-Darm-Trakts und der damit verbundenen Organe, vor allem der Speiseröhre. Hier erweist sie sich als Assistentin mit Scharfblick. »Das Programm hat drei Aufgaben zu erfüllen,« erklärt Dr. Alanna Ebigbo, Verantwortlicher Oberarzt des Endoskopiezentrums. Detektion, Klassifikation und Demarkierung heißen die Zauberwörter. »Zunächst soll

es die Schädigung finden und charakterisieren, danach die erkrankte Gewebefläche von der gesunden abgrenzen.« Dieser Prozess läuft, parallel zur Sichtung der Mediziner, automatisch über einen zweiten Bildschirm. Die Analyse wird dem Untersuchungsteam in Echtzeit übermittelt und in den endgültigen Befund eingebunden. Für den Patienten ergibt sich daraus keinerlei Mehrbelastung, wohl aber eine sehr sichere Diagnose. Seine eingespeisten Daten wiederum erhöhen die »Intelligenz« des Systems, das mit jedem Fall mehr dazulernt. »Alle Eingaben werden selbstverständlich anonymisiert«, betont Dr. Ebigbo die strikte Einhaltung des Datenschutzes. »Der Kollege Computer entdeckt die schwer sichtbaren Krebsvorstufen in diesem Bereich mit 97-prozentiger Sicherheit,« ergänzt Professor Dr. Helmut Messmann. »Sehr versierte Diagnostiker mit jahrelanger Erfahrung kommen auf 76 Prozent.« Der Direktor der III. Medizinischen Klinik und Leiter des größten Endoskopiezentrums in Deutschland zieht eine positive Bilanz der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine.

Zwar ist der Speiseröhrenkrebs mit rund 7.000 Erkrankungen deutschlandweit keine sehr häufige Diagnose, aber die Fallzahlen nehmen »deutlich zu, gerade der Barrett-Ösophagus«, betont Professor Messmann (siehe Infokasten). Hier ist der frühestmögliche Befund oft überlebenswichtig.

Der Tumor ist zu diesem Zeitpunkt noch gut heilbar, im Spätstadium endet die Krankheit oft tödlich. Allerdings wird nur jedes siebte Ösophagus-Karzinom in einem frühen Stadium ausfindig gemacht, beklagt das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg. Erste Anzeichen können leicht übersehen oder verwechselt werden. Das trieb den Internisten und Gastroenterologen Messmann schon lange um. Und so ist seit 2014 eine – weltweit erste – Arbeitsgruppe am Augsburger Uniklinikum mit dem ehrgeizigen Projekt befasst, die Diagnosestellung mittels KI zu optimieren.

WIR KÖNNEN MIT DER KI ZEIT GEWINNEN, MIT WENIGER BIOPSIEN ZUR DIAGNOSE KOMMEN, ERZEUGEN WENIGER KOSTEN UND HABEN WENIGER UNSICHERHEIT BEIM PATIENTEN.
Dr. Alanna Ebigbo

Künstliche Intelligenz, kurz KI, kann man sich als wissbegierige Mitarbeiterin vorstellen: Sie sammelt in Sekundenschnelle riesige Datenmengen, die sie miteinander in Beziehung setzt und auswertet. Im Unterschied zum menschlichen Gehirn wird das computergestützte System nicht müde und lässt sich nicht ablenken. Aber es be- nötigt zuvor den passenden Input sei- nes menschlichen Partners. Und er- weist sich als umso intelligenter, je mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden. Dabei hilft ihm ein Algorithmus, eine fest definierte Vorgehensweise, um die gefragten Probleme zu erkennen und zu lösen. Dazu muss das lernfähige Programm vor seinem endgültigen Einsatz mit tau- senden digitalen Abbildungen von gutartigen und bösartigen Tumoren in allen Variationen gefüttert werden und bekommt die korrekte Diagnosestellung gleich mitgeliefert. Die Künstliche Intelligenz trainiert sich anhand der verfügbaren Datenmenge selbständig, die Unterschiede zwischen den Erkrankungen zu erkennen und Muster ähnlich wie Ärzte zu sehen.

Wissenschaftliche Szene begeistert sich für Augsburger Projekt

Die Mediziner aus der Fuggerstadt forschen gemeinsam mit einem versierten Technikerteam der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg). Mit dem renommierten Informatiker Professor Dr. Christoph Palm steht ein »Experte für Mustererkennung« an dessen Spitze. Denn entscheidend
für die Zuverlässigkeit der Künstlichen Intelligenz ist ihre Fähigkeit zur Mustererkennung und -analyse (siehe Infokasten): Auch klassische ärztliche Diagnosen basieren wesentlich auf dem Er- fassen von Mustern.

Noch steckt das Projekt mitten in der Entwicklung, berichtet Dr. Ebigbo. Aber die wissenschaftliche Welt hat bereits auf- gemerkt. 2019 stellte Professor Messmann das Konzept bei einer internationalen Expertenkonferenz in Barcelona 15 000 Fachleuten vor. Mitte September letzten Jahres wurden Dr. Ebigbo und Robert Mendel, Informatik-Doktorand an der OTH, für ihre weltweit erste wissenschaftliche Publikation zum Thema in einem Fachjournal mit dem Endoskopie- Forschungspreis 2020 der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) ausgezeichnet.

In ein bis zwei Jahren, schätzt Dr. Ebigbo, wird das Forschungsteam das KI-System in der Endoskopie optimiert haben – nicht nur im klinischen Alltag des Referenz- und Zuweisungszentrums Uniklinikum. Der Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologe und Infektiologe möchte erreichen, dass die KI zukünftig auch

in Facharztpraxen eingesetzt werden kann. Und zeigt sich stolz auf die bereits erreichten Ziele. »Wir können mit der KI Zeit gewinnen, mit weniger Biopsien zur Diagnose kommen, erzeugen weniger Kosten und haben weniger Unsicherheit beim Patienten.« Zudem würden sich op-Ergebnisse verbessern, da die Außen- grenzen befallenen Gewebes exakter bestimmt würden. »So kann klein- flächiger geschnitten werden.« Doch bei aller Begeisterung für die »Revolution in der Medizin« – die Experten Messmann und Ebigbo sind sich einig: Ärztinnen, Pflegende und andere Menschen in medizinischen Berufen kann und wird die KI nicht ersetzen. Algorithmen nehmen zwar einen wichtigen Platz im medizinischen Team ein. Aber: »Der Rechner ist nie der alleinige Maßstab, die letzte Entscheidung trifft immer der Mensch.«

Im Magen herrscht ein äußerst saures Milieu, das die Verdauung unterstützt und Keime abtötet. Beim gesunden Menschen schützt die Magenschleim- haut das Organ vor diesen aggressiven Substanzen. Fließt der saure Mageninhalt aber – etwa durch einen schlecht schließenden Magenpförtner-Muskel – zurück in die Speiseröhre, kann er dort die empfindliche Schleimhaut angreifen. Der Reflux, oft als Aufstoßen bemerkt, erzeugt nicht nur häufig das als unangenehmes »Feuer« hinter dem Brustbein empfundene Sodbrennen, sondern kann auch allmählich die Plattenepithelzellen im unteren Speiseröhren-Bereich schädigen. Manchmal ersetzt der Körper die zerstörten Zellen durch ein weniger säureempfindliches Drüsengewebe. Die sogenannte Barrett-Schleim- haut, auch als Barrett-Ösophagus bezeichnet, kann sich von wenigen Millimetern bis zu einigen Zentimetern in der Speiseröhre ausdehnen und gilt als Risiko oder Vorstufe für eine der beiden Hauptformen von Speiseröhrenkrebs: das Adenokarzinom.

Sie haben Fragen?

Ihr/e Ansprechpartner/in steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Prof. Dr. med. Helmut Messmann

Direktor der III. Medizinischen Klinik
Stellv. Leiter des Darmkrebszentrums

Internist, Gastroenterologe

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 1/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 1/2021.