Extreme Hitze, extremer Durst

Hitzeperioden mit anhaltenden hohen Temperaturen nehmen auch in Deutschland zu. Zu gesundheitlichen Problemen kann es dann kommen, wenn Menschen sich nicht richtig verhalten. Das Projekt »Extreme« des Instituts für Umweltmedizin in Kooperation mit der Zentralen Notaufnahme evaluiert Patientendaten und soll einen Maßnahmenkatalog erarbeiten, der sowohl Patienten als auch Versorgende besser schützt.

Gerda Schneiderlein achtet sehr auf ihre Gesundheit. Die 74-Jährige ernährt sich gesund, bewegt sich viel, achtet auf ausreichend Flüssigkeit. Doch an diesem Sommertag vor zwei Jahren hat sie es übertrieben. Mit der Arbeit in ihrem geliebten Garten. Und eben nicht mit ausreichend Flüssigkeit, trotz 32 Grad und direkter Sonneneinstrahlung. »Ich habe völlig ver­gessen zu trinken«, sagt sie rückblickend. »Wenn ich im Garten arbeite, vergesse ich die Zeit und alles andere.« Als ihre Tochter am Nachmittag kommt, findet sie die Mutter liegend zwischen den Beeten, nicht mehr in der Lage, von allein aufzustehen. Sie ruft einen Rettungswagen, das Ziel ist die Zentrale Notaufnahme am Universitätsklinikum Augsburg. Die Diagnose lautet Hitzschlag. Eine schmerzhafte Lektion für Schneiderlein, der es heute wieder gut geht. Bei der Gartenarbeit hat sie nun immer eine Trinkflasche dabei und macht genügend Pausen im Schatten.

Hitzschläge sind zum Glück selten. Ein-bis zweimal jährlich kom­men sie in der Notaufnahme am Klinikum vor, mit 90 000 Patienten im Jahr eine der größten in Deutschland. »Hitze an sich ist nicht das Problem«, erklärt Privatdozent Dr. Markus Wehler, Direktor der Notaufnahme sowie der IV. Medizinischen Klinik. »Die direkte Sonneneinstrahlung bei hohen Temperaturen sowie zu wenig Flüssigkeitsaufnahme schon.« Bei einem Hitzschlag steigt die Körpertemperatur auf mehr als 40 Grad an. Betroffene leiden unter Krampfanfällen und Bewusstseinsstörungen. Auch Gerda Schneiderlein war nicht mehr ansprechbar. Glücklicher­weise hat die Tochter schnell und richtig gehandelt. Denn im Gegensatz zu Sonnenstich oder Sonnenbrand, die in der Regel mit Hautrötungen, Kopfschmerzen, Schwindel oder Übelkeit einhergehen, kann ein Hitzschlag lebensbedrohlich sein.

Wie bei einem Dachdecker im Jahr 2003, bei dem jede Hilfe zu spät kam. Der Mann war um die 40 und kerngesund. Weil er viel zu lang und unter direkter Sonneneinstrahlung auf einem Dach Teer­pappe verlegt hatte, kollabierte er. Seine Körperkerntemperatur betrug zu diesem Zeitpunkt 42,5 Grad. In der Notaufnahme des Klinikums kämpften die Ärzte verzweifelt um sein Leben, versuchten ihn runter zu kühlen. Trotz intensivmedizinischer Behandlung starb er. »Das ist sicher ein besonders krasses Beispiel, das leider zu diesem traurigen Ende eines Menschenlebens führte«, sagt Wehler, der sich trotz der vielen Patienten jährlich noch gut an den Fall erinnern kann. »Dennoch werden wir es künftig vermutlich häufi­ger erleben, dass Menschen mit extremen Hitzeperioden auch in Deutschland konfrontiert werden. Gerade ältere und sehr junge Menschen müssen in solchen Zeiten von Angehörigen und Be­treuungspersonen besonders geschützt werden.«

Hotspot Notaufnahme: Mit 90 000 Patienten ist sie eine der größten Deutschlands.

Denn die Klimakrise ist in vollem Gange. Das merkt man auch in Deutschland unter anderem an Extremwetterereignissen, ver­änderter Witterung und Trockenheit sowie an steigenden Temperaturen im Sommer. Da mag man im ersten Moment an Freibad und Eis denken. Aber Hitzewellen, die sich dadurch kennzeichnen, dass es mehr als drei Tage lang über 25 Grad und mehr warm bzw. heiß ist, sind eine Belastung für den Grundwasserspiegel und jeden Organismus – sei er menschlich, tierisch oder pflanzlich. Heiße Perioden stellen eine ernsthafte gesundheitliche Gefahr dar. Selbst, wenn die Klimakrise verlangsamt oder gar eingedämmt werden sollte aufgrund der Bemühungen aller Länder auf der Welt, ist in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit einer stetigen Zunahme der Dauer, Intensität und Häufigkeit von Hitzewellen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund ist es von großer Wichtigkeit, die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze zu quantifizieren und zu verstehen.

Damit begonnen haben Institut und Lehrstuhl für Umweltmedizin am Universitätsklinikum unter Leitung von Direktorin Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, die Teil eines Gremiums ist, das sowohl die Bundesregierung auch als das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in Sachen Klima und Gesundheit berät. Das gerade gestartete Projekt »Extreme« sammelt pseudonymisierte Daten von Patienten und arbeitet daher eng mit der Zentralen Not­aufnahme zusammen. Im Kern geht es darum, wer wann aufgrund von klimarelevanten Beschwerden in die Notaufnahme eingelie­fert werden musste und wie der weitere Verlauf der Beschwerden des Patienten war. Auch Vorerkrankungen und Medikamenten­einnahmen werden dabei übermittelt. Gerade vorerkrankte oder chronisch kranke Menschen bzw. auch solche, die Medikamente nehmen müssen, die in den Wasserhaushalt des Körpers eingreifen, sind besonders vulnerabel, also anfällig für Hitze.

Eines der Ziele des Projektes ist es herauszufinden, welche Erkran­kungen genau von Hitze beeinflusst werden, wie viel häufiger diese gegebenenfalls auftreten und ob es Neuerkrankungen gibt. Hier hat des »Extreme«-Team vor allem Herzkreislauferkrankungen, Komplikationen von Stoffwechselerkrankungen, Lungenerkrankungen und Allergien im Blick. Die aus der Notaufnahme zur Verfügung gestellten Daten werden mit Wetterdaten für Augs­burg abgeglichen. Geplant ist, den Zeitraum zwischen 2006 und 2022 zu betrachten, um ein möglichst aussagekräftiges Bild der steigenden Hitzebelastung in der Region zu erhalten.

Hitzeperioden führen zu einem Anstieg der Patienten in der Notaufnahme.

Darüber hinaus sind Umfragen in Planung. Diese sollen unter Patienten sowie Ärzten und Pflegekräften durchgeführt werden, die während einer Hitzewelle in die Notaufnahme des Klinikums kamen bzw. dort arbeiteten. Das Team um Prof. Traidl-Hoffmann erhofft sich dadurch einerseits Erkenntnisse darüber, wie Patienten sowie medizinisches und pflegerisches Personal die Hitze als solche empfinden und wie sie damit umgehen, welche Auswirkun­gen Hitze auf Krankheit und Gesundheit haben und welche Optimierungspotenziale für das Personal, das während Hitzewellen eingesetzt war, bestehen. Andererseits können auch Herausforde­rungen und Engpässe in der Versorgung und Behandlung sichtbar gemacht werden. Schließlich soll eine Gruppendiskussion mit medizinischem Personal aus Notaufnahme und Rettungsdiensten helfen, die geeignetsten Fragestellungen für die Patientenumfragen zu erarbeiten.

Übergeordnetes Ziel des Projektes »Extreme« ist die Erstellung eines Konzeptes für ein Hitzeregister, das Aussagen treffen kann zu den Dynamiken kommender Hitzewellen. Dazu gehört unter anderem die Vorhersage des zu erwartenden Kapazitätsbedarfs in der gesundheitlichen Versorgung. Im besten Fall kann das Hitze­register dringend notwendige Präventionsprogramme erarbeiten und implementieren. Mögliche Maßnahmen wären zum Beispiel, Hitzeschutzpläne zu erstellen und Kliniken und Praxen dabei zu unterstützen, klimaneutral und hitzeresilient zu werden. Ideen dazu gibt es reichlich: vom Einbau von Verschattungen und Anlagen zur Klimatisierung des Gebäudes bis zum Anlegen von grünen, kühlenden Aufenthaltsorten. Auch können daraus konkrete Hand­lungsempfehlungen resultieren für Behandlung, Medikation und Verköstigung von Patienten während Hitzewellen wie die Bereit­stellung von ausreichend Flüssigkeit und leichten Speisen. Gerda Schneiderlein jedenfalls hat ihre Lektion gelernt, sie achtet jetzt auf beides.

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 2/2023 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 2/2023.