Diagnose Sepsis – die unterschätzte Gefahr

Eine Sepsis (Blutvergiftung) ist in Deutschland die dritthäufigste Todesursache nach Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen. Alle sechs bis sieben Minuten stirbt ein Patient an der oft unterschätzten Diagnose. Wenn die ersten Symptome auftreten, ist es oft schon zu spät: Eine Querschnittslähmung, Amputation oder gar der Tod sind die Folgen der unberechenbaren Krankheit. Nur wer die Symptome rechtzeitig erkennt und schnell reagiert, kann schlimme Folgen verhindern.

Die Society of Critical Care Medicine beschreibt die Sepsis als eine lebensbedrohliche Organdysfunktion aufgrund einer fehlregulierten Körperantwort auf eine Infektion. Das heißt, durch eine Infektion, die oft durch Bakterien verursacht wird, reagiert der Organismus über und die Entzündungsreaktion gerät außer Kontrolle. Ist die körpereigene Abwehr mit den Erregern überfordert, attackiert das fehlregulierte Immunsystem die eigenen Zellen und Organe. Es kommt zu einem multiplen Organversagen. Wenn nicht binnen kürzester Zeit intensivmedizinisch behandelt wird, endet die Erkrankung tödlich. Und wer die schwer zu erkennende Infektion überlebt, leidet häufig unter belastenden Spätfolgen. Der Fall von Norbert Blüm machte 2019 Schlagzeilen. Der ehemalige Arbeits- und Sozialminister ist nach einer Sepsis ins Koma gefallen. Nachdem er wieder davon erwacht ist, war er ab den Schultern abwärts gelähmt.

Mediziner unterscheiden zwischen zwei Stadien der Sepsis

Einfache Sepsis:

Bei einer einfachen Sepsis verlassen die Krankheitserreger bzw. die von ihnen produzierten Gifte den Entzündungsherd und breiten sich im Körper aus (sogenannte Ganzkörperinfektion). Von dieser Form der Sepsis erholen sich 90 Prozent der Betroffenen:

Septischer Schock:

Beim septischen Schock ist die Kreislauffunktion gestört und der Blutdruck fällt ab, gleichzeitig versagen mehrere Organe (sogenanntes Multiorganversagen), da die Sauerstoffversorgung und Verwertung an den Zellen gestört ist. Bei dieser Form der Sepsis kommen nur 40 Prozent der Erkrankten mit dem Leben davon.

Schon ein kleiner Schnitt kann tödlich enden

Eine Blutvergiftung kann viele Ursachen haben. Oft sind es Entzündungen, die bereits durch kleine Verletzungen wie Schnittwunden, Tierbisse oder Insektenstiche entstehen können. In den meisten Fällen gelingt es dem Körper, solch einfache Entzündungen zu bekämpfen. Wenn jedoch die Erreger in den Blutkreislauf gelangen, breiten sie sich rasant im Körper aus. Der Körper versucht sich selbst zu reparieren, in dem er Gene aktiviert oder stilllegt, defekte Zellen abbaut oder neues Gewebe aufbaut. Dabei sendet er Signale aus, die als dna-Moleküle von körpereigenen Zellen freigesetzt werden. Andere Zellen erkennen diese als Botschaft zur Stimulierung der körpereigenen Abwehr an. Erhält der Körper das Signal, die eigene Abwehr zu aktivieren, weiten sich die Blutgefäße rund um den Infektionsherd und die Gefäßwände werden durchlässig. Die weißen Blutkörperchen dringen aus den Gefäßen ins Gewebe und setzen Gifte frei, um die Bakterien zu vernichten. Die Menge der freigesetzten Gifte ist so groß, dass der Körper in einen Ausnahmezustand verfällt: Der Blutdruck fällt rasant ab, der Sauerstoff wird knapp, das Herz pumpt vergeblich gegen die Unterversorgung an. Nach und nach versagen die Organe.

BEI EINER SEPSIS LÄUFT EINE INFEKTION AUS DEM RUDER. DANN IST DER GESAMTE KÖRPER VON DER FEHLERHAFTEN IMMUNANTWORT BETROFFEN UND ES KOMMT ZUM MULTIPLEN ORGANVERSAGEN

Meistens tritt eine Sepsis als Begleiterscheinung einer anderen Krankheit auf

Die meisten Blutvergiftungen treten jedoch in Zusammenhang mit vorangegangenen Krankheiten oder nach schweren Operationen auf, da in diesen Fällen das Immunsystem oft stark geschwächt ist. So kann etwa eine Lungenentzündung, eine Meningokokken Infektion oder auch eine Infektion mit multiresistenten Keimen (z. B. MRSA) eine Sepsis mit Multiorganversagen zur Folge haben. Auch bei covid-19 Patienten wird oft eine Sepsis als Sekundärerkrankung festgestellt. Kleinere Kinder unter fünf Jahren und ältere Menschen ab 65 Jahren sind besonders gefährdet. Ihr Immunsystem ist von Haus aus nur eingeschränkt in der Lage, Bakterien und Viren abzuwehren. Da eine Sepsis immer mit einer Infektion beginnt, ist die wichtigste Prävention eine Impfung gegen bestimmte Erkrankungen. Die ständige Impfkommission (STIKO) am Robert- Koch-Institut empfiehlt die Impfung gegen Haemophilus influenza Typ B (Hib), die jährliche Grippeimpfung sowie die Impfungen gegen Pneumokokken und Meningokokken. Die Grippeimpfung ist vor allem für ältere und immunschwache Menschen zu empfehlen, da diese ein besonders hohes Risiko haben, an einer schweren Grippe mit folgender Lungenentzündung und einer daraus resultierenden Sepsis zu erkranken. Über 40 Prozent aller Sepsis Patienten litten vorab an einer Lungenentzündung, durch eine Impfung kann dieses Risiko minimiert werden.

Eine Sepsis muss sofort intensivmedizinisch behandelt werden

Im Anfangsstadium lässt sich eine Sepsis nur schwer erkennen, da die Symptome zu den Beschwerden vieler anderer Krankheiten zählen. Dennoch gibt es Anzeichen, die in der Kombination auf eine Sepsis hindeuten. Hat der Patient Fieber, Schüttelfrost, starke Schmerzen, ist verwirrt, hat eine erhöhte Herz- und Atemfrequenz sowie eine fleckige Haut, können dies Anzeichen einer Sepsis sein. Im Zweifel sollte umgehend der Notarzt alarmiert werden, da der Patient bei einer tatsächlichen Sepsis sofort intensivmedizinisch behandelt werden muss. Wird der Betroffene innerhalb der ersten Stunde der Erkrankung behandelt, überlebt er mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent. Nach fünf Stunden sind es nur noch um die 60 Prozent, nach 36 Stunden schafft es kaum jeder Fünfte. Und obwohl die Medizin mit modernen Intensivtherapien wie Organtransplantation, Kreislauftherapie, Atmungstherapie und antiinfektiver Therapie versucht, der Sepsis gegenzusteuern, bleibt die Sterblichkeitsrate dennoch so hoch und beträgt in Deutschland aktuell 43,6 Prozent.

Symptome einer Sepsis

Eine Sepsis ist ein Notfall – schnelles Handeln ist überlebenswichtig.

Das sind die Warnzeichen:

  • Fieber
  • Schüttelfrost
  • starke Schmerzen
  • erhöhte Herz- und Atemfrequenz
  • Verwirrtheit
  • fleckige Haut an Armen und Beinen

Eine erfolgreich behandelte Sepsis kann trotz allem lebenslange Folgen haben

Lässt sich der Infektionsherd im Krankenhaus identifizieren, wird dieser umgehend operativ entfernt. Doch nicht immer wird der Infektionsherd gefunden und oftmals ist eine operative Entfernung gar nicht möglich, wenn es sich bei der betroffenen Stelle um die Lunge, das Bauchfell oder gar die Herzklappe handelt. Sowohl die Erkrankung, wie auch die intensivmedizinische Behandlung lösen enormen Stress für den Organismus aus. Daher hinterlässt der Überlebenskampf deutliche Spuren im Körper. Am häufigsten treten neurologische Symptome auf. Aber auch die Psyche leidet unter der Extremerfahrung. Eine psychologische Behandlung und Selbsthilfegruppen können helfen, die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten. Ältere Menschen leiden nach einer überstandene Sepsis häufig an Konzentrationsund Erinnerungsstörungen. Eine bereits vorhandene Demenz kann sich drastisch verschlimmern. Auch hier können Patienten bei der Deutschen Sepsis-Hilfe e. V. Hilfe und Unterstützung finden.

Universitätsklinikum Augsburg treibt Forschung zu Sepsis voran

Das Universitätsklinikum Augsburg ist bereits seit 2002 in einer nationalen Forschungsgruppe, um die Ursachen und den Erkrankungsverlauf der Sepsis weiter erforschen zu können. »Die Forschungsgruppe SepNet führt bis heute klinische Studien durch, bei denen unterschiedliche Therapieoptionen überprüft werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in hochrangigen Medizinzeitschriften veröffentlicht«, erklärt Dr. Ulrich Jaschinski, Facharzt für Anästhesiologie und Leitung operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Zusätzlich verfügt das Universitätsklinikum über die Qualitätsinitiative Sepsis. Im Rahmen dieser Initiative werden alle Sepsis-Fälle der Klinik in anonymisierter Form an einen Datenverarbeitungsdienstleister übermittelt, der aus einem Studienmodell, das die Nebenerkrankung berücksichtigt, eine individuelle Überlebenswahrscheinlichkeit errechnet. Der Quotient aus erwarteter und beobachteter Sterblichkeit liegt seit Beginn dieser Studie unverändert unter 1 – mehr Menschen als erwartet überleben also die Sepsis.

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Ihr/e Ansprechpartner/in steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Dr. med. Ulrich Jaschinski

Facharzt für Anästhesiologie

Zusatzbezeichnung Notfallmedizin
Zusatzbezeichnung Intensivmedizin
Peer Intensivmedizin der Bayrischen Landesärztekammer

Telefon: 0821 400-2381
Fax: 0821 400-2198
E-Mail: ulrich.jaschinski@uk-augsburg.de

Publikationen

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 3/2020 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 3/2020.