„Das ist das falsche Signal“ - Organspendentscheidung des Bundestages

Transplantationsmedizin - Der Bundestag hat gegen die Widerspruchslösung bei der Organspende entschieden. Prof. Dr. Matthias Anthuber zeigte sich verständnislos und spricht von einer vertanen Chance für das Leben

Prof. Matthias Anthuber hat eine klare Meinung, wenn es um Organspende geht: „Man kann doch von einem Bürger dieses Landes erwarten, dass er sagt, ich will oder ich will nicht“, so der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie (AVT) am UKA. Der Bundestag hat das anders gesehen und sich gegen die Widerspruchslösung entschieden. Die Widerspruchslösung hätte bedeutet, dass jeder gesunde Bürger über 18 Jahre als potenzieller Organspender gesehen würde, es sei denn, er hätte dieser Lösung ausdrücklich widersprochen. Anthuber zeigte sich am Tag der Entscheidung verständnislos über das Votum des Bundestages: „Das wird vielen Patienten das Leben kosten. Das ist das falsche Signal.“ Stattdessen stimmte der Bundestag mehrheitlich für die Zustimmungslösung sowie für eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft zur Organspende. Heißt, dass Patienten nun auch häufiger von Hausärzten auf eine Organspende angesprochen werden dürfen sowie Bürger bei der Passabholung von den Bürgerämtern nach der Bereitschaft zur Organspende befragt werden dürfen.

Anthuber kritisiert, dass die jetzt beschlossene erweiterte Entscheidungslösung weder personell noch inhaltlich Voraussetzungen schaffen kann, die Bürgerinnen und Bürger in der so wichtigen Frage der Organspende aufzuklären.

In Deutschland entfallen auf eine Million Bundesbürger nur zehn Organspenden, in Spanien seien es bis zu 40. Spanien ist neben Österreich etwa oder Belgien eines der Länder, in denen die Widerspruchslösung längst per Gesetz geregelt ist. In Israel ging die Politik noch einen Schritt weiter: Hier erhält nur ein Spenderorgan, wer selbst als potenzieller Spender zur Verfügung steht.

An der AVT-Klinik bekommen pro Jahr 30 bis 40 Dialyse-Patienten, das heißt, Patienten, die bereits schwer nierengeschädigt sind und deren Blut gewaschen werden muss, eine Niere transplantiert, teilweise auch als Lebendspende. Prominente Beispiele hierfür sind Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, der seiner Frau eine Niere spendete, sowie die verstorbene Rennfahrerlegende Niki Lauda und Rockstar Tina Turner. Dass die Chance, den Widerspruch aufzulösen zwischen einer zustimmenden Haltung und dem tatsächlichen Ausfüllen des entsprechenden Ausweises – nur 36 Prozent aller Bundesbürger haben bislang einen – wieder vertan wurde, macht Anthuber betroffen: „Von über 10.000 Patienten, die auf ein lebensrettendes Organ warten, sterben drei von ihnen im Schnitt pro Tag.“ Durch die heute beschlossene Gesetzesänderung werde sich an der Zahl der Sterbefälle aufgrund fehlender Organspenden erst einmal nichts ändern, glaubt der Transplantationsmediziner.

Dennoch, es gibt für die Verfechter der Widerspruchslösung keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Es sei „sehr, sehr wichtig, weiterhin aufzuklären, denn nur frühzeitige, kontinuierliche und verständliche Information können das notwendige Vertrauen bei den Bürgern aufbauen“, sagt Anthuber. Die Angst, als Ersatzteillager herhalten zu müssen, obwohl der Hirntod noch nicht festgestellt sei oder als Inhaber eines Organspendeausweises im Falle einer schweren Erkrankung nicht ausreichend medizinisch versorgt zu werden, weil man schon auf die Organe warte, könne er nicht nachvollziehen. „Das ist völlig absurd, würde man doch so gegen eherne Grundsätze ärztlichen Handelns verstoßen Die Hirntoddiagnostik ist sicher, und es gibt klare Regeln, die einen Missbrauch nicht zulassen.“ Zwei voneinander unabhängige Spezialisten müssen den Hirntod eines Patienten feststellen, bevor überhaupt über eine Entnahme nachgedacht werden könne. „Wird am UKA ein Organ entnommen, bleibt es in der Regel nicht hier“, erklärt Anthuber. Über die Frage, wer wessen Herz, Leber oder Lunge bekommt, entscheidet die Stiftung Eurotransplant in Leiden, Niederlande, was Manipulationen unmöglich mache. Am Nierentransplantationszentrum Augsburg werde in der wöchentlich tagenden Transplantationskonferenz nach dem Sechs-Augen-Prinzip entschieden, wer auf die Warteliste gesetzt wird. In der Konferenz seien Kollegen vertreten, die mit Transplantationen nichts zu tun haben. Auch sind die Transplantationschirurgen an der Behandlung von potentiellen Organspendern auf der Intensivstation nicht beteiligt, erklärt der Mediziner. Die Entscheidung, wem ein verfügbares Spenderorgan transplantiert wird, trifft am Ende Eurotransplant nach einem transparenten und strengen Zuteilungsmodus. Das Transplantationszentrum am UKA, das Anthuber leitet und das es seit knapp 20 Jahren gibt, erhielt von der Bundesärztekammer bei Überprüfungen immer Bestnoten. „Die können wir der heute beschlossenen Gesetzesänderung nicht geben“, sagt Anthuber.