Arzneimittel sind keine Zuckerplätzchen

Sicherheit für Mutter und Kind

Im Herbst 2023 beginnt der erste duale Studiengang Hebammenwissenschaft (Bachelor of Science) an der Universität Augsburg. Dabei sind die Medizinische Fakultät und das Universitätsklinikum eng miteinander verzahnt, denn der berufs­praktische Studienteil findet in der geburtshilflichen Abteilung der Uniklinik statt. Hebamme, einer der ältesten Frauenbe­rufe der Welt, ist mit dem Studiengang heute eine junge Wissenschaftsdisziplin für Frauen und Männer.

Keine Ausbildung ohne Lehrbuch

Beim Stichwort Lehrbuch kommt unsere langjährige Apothekerin Elisabeth Remplik ins Spiel. Sie ist Mitautorin des Buches »Arzneimittellehre für Hebammen«. »Die­ses Buch verwenden wir aktuell schon in der Ausbildungsklasse, haben es aber im Hinblick auf den Studiengang konzipiert«, berichtet die 50-jährige Pharmazeutin aus Stadtbergen.

»In dem Buch findet sich alles, was eine Hebamme rund um die Arzneimittellehre zum Studieren braucht!« - Apothekerin Elisabeth Remplik

So etwas habe ihr immer gefehlt. Denn Remplik unterrichtet seit dem Jahr 2000 an der Akademie für Gesundheits­berufe in Augsburg für die Berufsgruppen Kranken-und Gesundheitspflege und Hebammen in dem Fach Arzneimittellehre. Die zweifache Mutter hat ihre Kinder hier in der Klinik entbunden. Ihren Sohn hat sie als Baby während der Elternzeit sogar mit in den Unterricht genommen. »Er war gleich unser Model in der Hebammen­klasse und der Star der Stunde«, lacht sie herzhaft. Zustande kam die Zusammenarbeit für das Buch durch die bekannte Hebamme Ingeborg Stadelmann, zu der Remplik mit ihren Schülerinnen immer wieder Aus­flüge unternimmt. »Frau Stadelmann fragte mich, ob ich an einem Buchprojekt mit­machen möchte und vermittelte mir den Kontakt zum Deutschen Apothekerver­lag.« Remplik absolvierte die Fachweiter­bildung zur Fachapothekerin für Klinische Pharmazie.

»Dieses Buch verwenden wir aktuell schon in der Ausbildungsklasse, haben es aber im Hinblick auf den Studiengang konzipiert.« - Elisabeth Remplik

Spezialistin für Lebensan­fang und Lebensende

Ihr heutiger Schwerpunkt ist das Qualitäts-management und die Palliativpharmazie. Zudem ist sie Dozentin bei der Bayerischen Landesapothekenkammer. »Ich bin Spezia­listin für Lebensanfang und Lebensende«, erzählt sie freudig. Denn das eine schließe das andere nicht aus. »Es sind beides Mal Personen in der Übergangsphase, sowohl psychisch als auch medizinisch und phar­mazeutisch.« Hier gibt es ihrer Erfahrung nach besondere Anforderungen, die rich­tigen Arzneimittel zu finden. »In diesen Lebensphasen gibt es zu wenig aus der Schublade, das passt.«

Die Hebammen liegen ihr sehr am Herzen. »Die Aufgabe der Hebamme ist es, die Mütter in der Ausnahmesituation abzu­holen und sie mit Routine, Wissen und Tätigkeiten zu beruhigen.« Klar fänden diese schönen Momente der Geburt nicht zu Geschäftszeiten statt, sondern gerne an Wochenenden und in der Nacht. »Das mit der Work-Life-Balance passt in dem Beruf nicht immer so zusammen«, gibt Remplik zu. Viele hole die Realität ein, wenn Schichtarbeit angesagt ist oder sie freiberuflich auf Abruf tätig sind. Doch wem das nichts ausmache, gehe in diesem Beruf voll und ganz auf.

»Wichtig ist, dass die Hebammen verstan­den haben, wie die Arzneien im Körper wirken!« Nur so können sie beurteilen, ob ein Medikament in der Schwangerschaft und/oder Stillzeit angewendet werden darf. Denn diese beiden Phasen sind grund­verschieden und manche Mütter sind schwanger und stillen zugleich. Den Heb­ammenstudiengang sieht die Dozentin positiv. »Der Stoff wird wissenschaftlicher und vertiefter sein.« Dennoch dürfe man den Faden zur Praxis nicht verlieren, denn die Hebammen machen auch mit Studium immer noch die gleiche Arbeit. Doch warum ist die Arzneimittellehre so wichtig für die Hebammen?

Damit sich die größte Katas­trophe nicht wiederholt

Im Vorwort des Lehrbuchs steht gleich zu Beginn ein Satz, der einen schaudern lässt: »Contergan®: Wenige Arzneimittel sind so eng mit einer Katastrophe ver­knüpft wie dieses.« Ein Arzneimittel, das 1957 als unbedenkliches Schlafmittel rezeptfrei für 3,90 D-Mark pro Packung in der Apotheke gekauft werden konnte. Der Hersteller warb damit, dass die Tablet­ten so »harmlos wie Zuckerplätzchen« seien. Was als Wundermittel angepriesen wurde, endete in einer der größten Katas­trophen der Medikamentengeschichte. Gerade Schwangere nahmen diese Arznei, weil sie gegen die Übelkeit am Morgen half. Contergan® war das meistverkaufte Schlafmittel in Deutschland. Die Folgen waren verheerend: rund 10.000 Babys wurden mit schweren Missbildungen an Gliedmaßen, Ohren und ihren inneren Organen geboren und etwa 40 Prozent verstarben im Säuglingsalter, die Dunkelziffer der Totgeburten ist unbekannt. Heute setzen 90 Prozent der Schwangeren Arz­neien ein, aber nur etwa ein Drittel ist von einem Arzt verschrieben. Hebammen werden deshalb sehr oft zu Arzneimitteln befragt und dürfen diese in Ausnahme- und Notfällen eigenverantwortlich verab-reichen. Deshalb hat die Arzneimittel­lehre einen bedeutsamen Stellenwert in ihrem beruflichen Alltag. | ddz